Das regenreiche Wetter dieser Tage ruft mir ein Drama ins Gedächtnis zurück, das sich – von uns Menschen weitgehend unbeobachtet – jeden Tag auf’s Neue vieltausendfach abspielt. Regenwürmer, angelockt von der feuchten Witterung, verlassen die Sicherheit ihrer Beete, Sträucher und Rasenstücke und begeben sich auf eine Reise mit unbekanntem Ziel. Eine Reise, von der es allzuoft für den abenteuerlustigen Wurm keine Wiederkehr gibt.
Würmer sind, man muss dies sagen dürfen, ohne sie damit zu verletzen, so rein nahrungskettenmäßig ziemlich Bodensatz. Größtenteils fressen sie die Erde, in der sie herumkriechen, und ernähren sich dabei von den darin verrottenden Pflanzenresten. Und selbst putzige kleine Singvögelchen, vor denen sonst gar niemand Angst hat, können für einen Regenwurm den letzten Atemzug bedeuten. Wer als Wurm also glaubt, sich auf einem nassen Gehweg exponieren zu müssen, endet ganz schnell als Lunch einer Lerche.
Und das ist nicht alles. Überdies ist unser wanderfreudiger Wurm auch noch von akuter Austrocknung bedroht. Was auf verregnetem Untergrund noch gut gehen mag, endet auf trockenem Trottoir nur zu rasch in einem harten, bräunlichen Ex-Kriechtier, welches auch optisch nicht mehr viel hermacht. Denn während Schlangen – speziell in kalten Nächten – die in Steinplatten gespeicherte Wärme überaus schätzen, gibt sie dem Regenwurm in der Regel den Rest. Ich finde das wichtig zu wissen. Nicht nur als Wurm, sondern auch als Mensch, vor allem das mit den Schlangen. Wenn es mit der Klimakatastrophe so weitergeht, dann haben wir vielleicht bald viel mehr von dem ganzen Kriechgetier, und da finde ich es, vor allem für die jungen Leser, wichtig zu wissen, worauf man so achtgeben muss. Ja, ich bin regelrecht ein bisschen stolz auf das edukative Element dieser Kolumne.
Ansonsten hoffe ich einfach, dass mir die wohlmeinende Beschäftigung mit den wandernden Würmern dereinst zugute kommen mag, sollte ich selbst in ferner Zukunft als Wurm wiedergeboren werden. (Es mag ein paar Menschen geben, die mir genau das wünschen.) Vielleicht erinnere ich mich dann unterbewusst an die tödlichen Gefahren außerhalb meines Erdlochs und suche mir ein anderes Hobby, während meine Kumpels ihrem sicheren Tod auf dem Gehweg entgegen kriechen.
Ein Tod, der damit in etwa so sinnlos ist wie dieser Text, den ich mit einem Witz (mit Wurm-Bezug) meines alten Biolehrers beschließen möchte: Ein junger Student hatte sich nur auf die Würmer vorbereitet, in der Prüfung wurde er dann aber nach den Elefanten gefragt. Nach kurzem Überlegen antwortete er: „Der Elefant… der Elefant hat einen Rüssel, der aussieht wie ein Wurm. Die Würmer unterteilt man in folgende Klassen…“